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FHWien

Datengeschichte von Nina Schlögl. Entstanden im Rahmen des Bachelor-Studiums "Content-Produktion & Digitales Medienmanagement" der FH Wien der WKW

Nina Schlögl

Der weibliche Herzinfarkt

Wie der Gender Health Gap Leben kostet
Was sind die typischen Symptome eines Herzinfarkts?

Brustschmerzen, Atemnot, Schmerzen im linken Arm

Und was sind die untypischeren, vor allem bei Frauen auftretenden Symptome?

Übelkeit, Erbrechen, Unwohlsein im Oberbauch, Unwohlsein im Kiefer, Nacken, in den Armen oder im oberen Rücken, Müdigkeit, Herzklopfen (Gefühl von unregelmäßigen oder rasenden Herzschlägen)

Es ist ein Dienstagmorgen, die 56-jährige Maria steht in der Küche und macht sich einen Tee – als ihr plötzlich übel wird. Sie ist auf einmal müde und spürt einen Druck im Bauch, als ob sich ein Knoten in ihr immer fester zusammenzieht.

Sie denkt, es sei ein Magen-Darm-Infekt. Vielleicht hatte sie einfach schlecht geschlafen. Doch als sie plötzlich Panik bekommt, ruft sie doch den Notruf. Die Sanitäter untersuchen sie – Herzinfarkt? E­her unwahrscheinlich, sagen sie. „Vielleicht etwas Schlechtes gegessen.“

Sicher ist sicher – sie bringen sie ins Krankenhaus. Erst dort, im EKG, fällt den Ärzten die Anomalie auf. Ein akuter Myokardinfarkt. Ein Herzinfarkt, ganz ohne die typischen Symptome. Maria hat Glück. Sie überlebt. Heute weiß sie: Herzinfarkte können sich bei Frauen ganz anders zeigen.

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Im Jahr 2023 ist mehr als jeder dritte Todesfall in Österreich auf eine Herz-Kreislauf-Erkrankung zurückzuführen. Damit sind sie die häufigste Todesursache. Besonders auffällig: Insgesamt sterben mehr Frauen als Männer an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. 

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Beim akuten Herzinfarkt, einer der bekanntesten Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Im selben Jahr sterben 2488 Männer aber "nur" 1549 Frauen daran. Das zeigt zumindest die Datenlage, und erweckt den Eindruck, dass Herzinfarkte vorrangig Männersache seien.

Auch Daten aus dem Österreichischen Gesundheitsbericht 2022 zur 30-Tage-Sterblichkeit nach einem akuten Herzinfarkt, scheinen diese Annahme weiter zu verstärken. Sie zeigen, dass deutlich mehr Männer als Frauen einen Herzinfarkt erleiden und auch häufiger daran sterben.

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Betrachtet man dieselben Daten allerdings in Prozent, ergibt sich ein anderes Bild. Fast sechseinhalb von hundert stationär behandelten Frauen mit akutem Myokardinfarkt sterben innerhalb von 30 Tagen, während es bei Männern nur knapp über vier von hundert sind.

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Männer haben also eine deutlich höhere Chance einen Herzinfarkt zu überleben, als Frauen. Ein ähnliches Bild zeigt auch die Schweizer Gesundheitsstatistik 2019. Obwohl deutlich mehr Männer wegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ins Krankenhaus eingeliefert werden, sterben letztlich mehr Frauen daran.

Ein reines Männer-Problem ist der Herzinfarkt also ganz und gar nicht. Aber woran liegt es nun, dass es so starke geschechterspezifische Unterschiede gibt?

Der Gender Health Gap

Dass Frauen weniger häufig einen Herzinfarkt erleiden, zeigt die Datenlage, doch sind diese Daten tatsächlich repräsentativ?

Ein Blick in den Allianz Gesundheitsbarometer 2025 zeigt: Viele Frauen fühlen sich im österreichischen Gesundheitssystem nicht ausreichend ernst genommen. Während 73 % der Männer die heimische Gesundheitsversorgung mit Bestnoten bewerten, tun das nur 64 % der Frauen. Rund 71 % der befragten Frauen berichten von negativen Erfahrungen mit Ärzt*innen – ihre Beschwerden werden häufig verharmlost oder nicht ernst genug genommen.

Eine Untersuchung der Harvard Medical School belegt, dass Frauen wesentlich länger überlegen, bevor sie tatsächlich die Rettung rufen. Frauen warteten im Schnitt 54 Stunden auf medizinische Hilfe – Männer hingegen nur etwa 16 Stunden.

Der Begriff "Gender Health Gap" ist zwar immer noch wenig bekannt, das Problem dahinter aber umso gravierender: Die gesundheitliche Ungleichbehandlung von Frauen und Männern zeigt sich nicht nur beim subjektiven Empfinden, sondern auch im Gesundheitssystem selbst.

Bis in die 1990er wurde zum Beispiel in Europa und den USA vorwiegend an männlichen Mäusen geforscht, wodurch viele Medikamente schwerwiegende Nebenwirkungen für Frauen verursachten. Außerdem sind in den meisten medizinischen Studien Frauen auch heute noch unterrepräsentiert.

Wenn es heißt, das muss für beide Geschlechter erforscht werden, dann erschrecken viele, weil sie die automatische Verdoppelung des Aufwands befürchten.

Ellen Zechner, Molekularbiologin

Eine britische Studie zeigte 2018, dass Frauen bei einem Herzinfarkt seltener als Männer sofort richtig diagnostiziert werden. Die Forschenden schätzen, dass allein in England und Wales innerhalb von zehn Jahren rund 8.000 Frauen hätten gerettet werden können – wenn sie die gleiche medizinische Versorgung wie Männer erhalten hätten.

Getting a timely diagnosis is the first step to getting treatments. Delays risk lives.

Researchers of the study

Frauen haben also über die Jahre hinweg nicht nur gelernt, dass ihre Beschwerden von Ärzt*innen nicht ausreichend ernst genommen und bagatelliesiert werden, sondern sie sind auch grundsätzlich im Gesundheitssystem benachteiligt.

Wenn die Symptome anders sind

Der Gender Health Gap zeigt sich aber nicht nur im Gesundheitssystem sondern ganz konkret in der Wahrnehmung und Deutung von Herzinfarkt-Symptomen.

Was ist das häufigste Symptom eines Herzinfarktes?

Brustschmerzen

Wie viele der Herzinfarkte bei Frauen verlaufen ohne dieses Symptom?

Einer von Fünf

Während typische Symptome wie Brustschmerzen bei Männern meistens auftreten, fehlen sie bei Frauen deutlich häufiger. Eine Untersuchung bei unter 55-Jährigen zeigt: Das weibliche Geschlecht ist ein unabhängiger Risikofaktor für das Fehlen von Brustschmerz – mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit.

Stattdessen berichten Frauen häufiger von weniger typischen Beschwerden: Schwächegefühl, Übelkeit, Schweißausbrüche, Schmerzen im Rücken, Nacken, Kiefer oder linken Arm, Kurzatmigkeit, Kopfschmerzen oder ein allgemeines Unwohlsein – all das können Anzeichen eines Herzinfarkts sein.

Annika ist Rettungssanitäterin beim Roten Kreuz in Niederösterreich und hat Herzinfarkte bei Männern und auch bei Frauen miterlebt.

Ich glaube, dass es deswegen bei Frauen so schwer zu diagnostizieren ist, weil die Symptome von Patient*in zu Patient*in unterschiedlich sind. Bei Männern ist es meistens gleich, aber bei Frauen ist das ein ganzes Spektrum.

Annika, Rettungssanitäterin Rotes Kreuz

Auch im Rettungseinsatz zeigt sich das Problem der verschiedenen Symptome. Wird ein Herzinfarkt nicht von vornherein vermutet, kommt oft kein Notarzt mit zum Einsatzort. Und ohne konkreten Verdacht wird auch kein EKG geschrieben – obwohl genau dieses Gerät den Herzinfarkt eindeutig zeigen könnte. Gerade bei Frauen führt das häufig zu verspäteten Diagnosen.

Im EKG ist ein Herzinfarkt bei Frauen genauso sichtbar wie bei Männern. Aber wenn man den Verdacht nicht hat, wird auch kein EKG gemacht.

Annika, Rettungssanitäterin Rotes Kreuz

Auch bei Maria wurde der Herzinfarkt erst im Krankenhaus erkannt – wie bei vielen Frauen mit untypischen Symptomen. Das könnte erklären, warum Frauen öfter daran sterben: nicht wegen schwererer Verläufe, sondern wegen späterer Diagnosen.

Männer und Frauen unterscheiden sich in Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieansprechen – und das wird in der medizinischen Praxis noch immer zu wenig berücksichtigt. Die Folge sind Fehldiagnosen, unzureichende Therapien und ein struktureller Gender Health Gap.

Univ.-Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Universität Wien