Opener
Der Gemeindebau- ein Wiener Kulturgut
Eine Reportage von Shafia Khawaja, Cora Krüger, Alexios Partoglou und Paloma Pöltinger
Historische Hintergünde
Die Grundidee
Insgesamt gibt es 222.000 Gemeindewohnungen in Wien, die zu günstigen Preisen vermietet werden. Das wirkt sich preisdämpfend auf den gesamten Wohnungsmarkt aus.
Auf dem 12. Februar Platz
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In den Höfen
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In Wien leben im Jahr 1900 über zwei Millionen Menschen. Es herrscht akuter Wohnungsmangel. Private Miethäuser, sogenannte Zinskasernen, mit Bassenawohnungen, also Wohnungen ohne fließendes Wasser und WC, werden für die Arbeiterinnen und Arbeiter gebaut. Die Folgen sind Wohnungsspekulationen, hohe Mieten, Überbelag und Obdachlosigkeit. 300.000 Wienerinnen und Wiener haben 1900 keine Wohnung. Um Geld zu sparen teilen die wenigen Menschen, die in winzigen Wohnungen wohnen ihr Bett mit sogenannten Bettgeher*innen, die für wenig Geld ein Bett für einige Stunden mieten. Die Wohnsituation in Wien ist eine der schlechtesten in ganz Europa.
Das Mieterschutzgesetz tritt in Kraft. Wien und Niederösterreich werden unabhängige Bundesländer.
Wien startet mithilfe der Wohnbausteuer und einigen Luxussteuern eine Wohnbauoffensive, 55.000 Wohnungen sind in Planung. Der Reumannhof (480 Wohnungen) wird gebaut. 1925 wird der Metzleinstaler Hof (252 Wohnungen) fertiggestellt, als exemplarisches Beispiel für den Übergang vom "eigennützigen" zum sozialen Wohnbau. Es finden sich dort bereits Sozialeinrichtungen wie eine Badeanstalt, eine Wäscherei, eine Bibliothek und ein Kindergarten.
Der Karl-Marx-Hof (1.353 Wohnungen) wird errichtet. Dieser hat in der Zwischenkriegszeit vor allem einen symbolhaften Charakter, da er aussieht wie eine Festung bzw. ein Palast.
Alle Parteien mit Ausnahme der christlich-sozialen Vaterländischen Front werden verboten. Infolgedessen kommt es zu einem Bürgerkrieg. Mehrere Gemeindebauten werden beschädigt.
Österreich wird an das deutsche Reich "angeschlossen". Tausende jüdische Mieter*innen werden aus ihren Wohnungen vertrieben.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird Wien vom NS-Regime befreit. 20 Prozent aller Wohnungen, rund 87.000, sind zerstört. 35.000 Menschen sind in Wien obdachlos.
500.000 Menschen ...... wohnen heute in 1.800 Gemeindebauten quer über Wien verteilt. Damit ist die Stadt Wien die größte Hausverwaltung Europas.
Wien ist damit das einzige Bundesland, in dem die öffentliche Hand ein bedeutender Player auf dem Wohnungsmarkt ist.
Eine übersichtliche Wien-Karte mit allen Gemeindebau-Standorten gibt es hier (Hinweis: Der Link führt zu Google Maps und damit zu einer externen Seite).
Wusstet ihr außerdem, dass...
... es in den Gemeindebauten 5.000 Geschäftslokale gibt?
... sich ca. 70.000 Bäume in den Höfen der Wohnhausanlagen befinden?
... Kinder auf 1.300 Spielplätzen in Gemeindebauten spielen können?
Lebensalltag im Gemeindebau
Quer durch die Gesellschaftsschichten
Wer wohnt im Gemeindebau?
Sie ist Politikwissenschafterin an der Wirtschaftsuniversität Wien und forscht am Institut für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit mit Fokus auf Stadtforschung, Umweltpolitik, politische Theorie und Sozialtheorie.
Wie kommt man in den Gemeindebau?
Des Weiteren müssen folgende Kriterien erfüllt werden:
➔ Alter von mindestens 18 Jahren
➔ durchgehend fünfjähriger Hauptwohnsitz und mindestens fünfjähriges Hauptmietverhältnis an der aktuellen Wiener Adresse (ohne Nebenwohnsitz) der Hauptmieterin bzw. des Hauptmieters
➔ österreichische Staatsbürgerschaft (oder gleichgestellt)
➔ Staatsbürgerschaft eines EU- oder EWR-Landes bzw. der Schweiz, einen Asylstatus als anerkannter Flüchtling oder als Drittstaatenangehöriger einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ nach dem NAG (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz)
➔ Unterschreitung bestehender Einkommensgrenze
Einkommenshöchstgrenzen (wohnberatung-wien.at)
➔ begründeter Wohnbedarf muss bestehen, z.B. Überbelag (das heißt die derzeitige Wohnung ist zu klein), Hausstandsgründung, alters- oder krankheitsbedingte Gründe
Die Vorzüge des GemeindebausDie städtische Dienststelle Wiener Wohnen verwaltet, saniert und bewirtschaftet den Gemeindebau.
1. Schutz: Zum Beispiel sind Gemeindebauten vor Spekulationen geschützt. Der Mietpreis kann nicht beeinflusst werden.
2. Investitionen: 24.000 Wohnungen sind in Planung bzw. in der Bauphase, die mit knapp 1 Milliarde Euro gefördert werden. In den letzten zehn Jahren wurden 67.000 Wohnungen saniert mit 1,2 Milliarden Euro Förderung.
3. unbefristete Mietverträge: Die Bruttomiete im Gemeindebau liegt bei 7,50 Euro pro m2. Es sind keine Eigenmittel oder Kaution notwendig.
4. vorausschauende Planung: Der Wohnfonds Wien ist im Besitz von 3 Millionen m² Grundfläche, die nur für den Wohnungsbau reserviert sind.
5. Vielfalt: Soziale Durchmischung wird aktiv gefördert, um die Entstehung von benachteiligten Stadtteilen zu verhindern.
Mag. Maximilian Unterrainer war von 2013 bis 2019 Nationalratsabgeordneter der SPÖ und ist zurzeit als Leiter der Stabstelle Forschung & Entwicklung bei Wiener Wohnen tätig.
Kommunaler Wohnbau: Ein Zukunftsmodell?
Wiener WohnungsmarktSteigende NachfrageWien ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Dieser Trend setzt sich fort, womit auch der Bedarf an Wohnraum steigt.
Die Nachfrage nach leistbarem Wohnraum für immer mehr Wiener*innen steigt - und somit auch der Druck am Wiener Wohnungsmarkt.
Teures WohnenImmer mehr Menschen zieht es nach Wien. Das Wohnungsangebot wird dadurch knapper, die Mieten steigen.
Obwohl die Wiener Mietpreise in Europa vergleichsweise niedrig sind, wird das Wohnen in Privatmietwohnungen immer teurer - und damit zunehmend zu einem sozialen Problem für die Wiener*innen.
Gemeindebau Neu "Wien ist keine statische Stadt" Als Antwort auf die Wohnungsknappheit und die steigenden Mietpreise wurde die Wohnbauoffensive "Gemeindebau Neu" gestartet.
Gemeindebau Neu "Wien ist keine statische Stadt" Als Antwort auf die Wohnungsknappheit und die steigenden Mietpreise wurde die Wohnbauoffensive "Gemeindebau Neu" gestartet.
Mag. Maximilian Unterrainer von Wiener Wohnen nennt drei Faktoren, die beim Bau der "neuen" Gemeindebauten eine zentrale Rolle spielen:
1. Bevölkerungszuwachs
“Wien ist keine statische Stadt, es ist alles in Bewegung, es gibt den Zuzug. Laut Prognosen werden in Wien 2028 mehr als 2 Mio. Menschen leben, diese Menschen muss man natürlich mitnehmen und weiter leistbaren Wohnraum schaffen.”
2. Alterung der Bevölkerung
“Die Gesellschaft wird immer älter, daher besteht ein wichtiger Teil der Planung darin, auch speziell im geförderten Wohnen, seniorengerechte und barrierefreie Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Pflegewohnungen sollen darüber hinaus den Menschen die Möglichkeit geben, solange wie möglich in den eigenen vier Wänden zu bleiben, selbst wenn sie Teilzeit oder Vollzeit pflegebedürftig sind.”
3. Klimawandel
“Wir vesuchen auf den Klimawandel Rücksicht zu nehmen, indem wir etwa aktiv gegen Überhitzung vorgehen und uns alternative Energiemöglichkeiten überlegen. Das fängt bei Klassikern an, dass ich überlege, wie kann ich die Hülle des Gebäudes füllen? Wie kann ich da was schaffen? Die Stadt Wien arbeitet da beispielsweise mit einem Forschungsprojekt der BOKU in Wien zusammen, um Fassadenbegrünungen zu erstellen."
"Der Druck zu privatisieren ist da" Stadtforscherin Dr.in Margaret Haderer erklärt, wodurch sich Wien wohnpolitisch von anderen Städten unterscheidet und welche Trends am Wohnungsmarkt zu beobachten sind.
"Der Druck zu privatisieren ist da" Stadtforscherin Dr.in Margaret Haderer erklärt, wodurch sich Wien wohnpolitisch von anderen Städten unterscheidet und welche Trends am Wohnungsmarkt zu beobachten sind.
Haderer: Wien hat eines schlichtweg nicht gemacht: den sozialen Wohnbau privatisiert. Die Stadt ist beim alten Modell geblieben. Das bedeutet, dass die öffentliche Hand Geld investiert, um öffentlichen Wohnraum zu schaffen. Der Wohnbedarf, der ein Grundbedarf ist, wird von der Stadt nicht einfach dem freien Markt überlassen. Wenn das passiert wie beispielsweise in Berlin oder Toronto, dann hat man innerhalb der Stadt schnell soziale Segregation. Das heißt, dass es dann Viertel gibt, wo es sich nur eine gewisse Schicht leisten kann zu wohnen. Leute, die ökonomisch nicht so gut aufgestellt sind, werden an den Stadtrand oder in industrielle Zonen gedrängt. In den 1920er Jahren wurde in Wien einfach in Bezirken wie dem 9. oder dem 6. gebaut. Das war zum Teil politische Strategie, um zu erreichen, dass Arbeiter auch in bürgerlichen Bezirken wohnten, wie zum Beispiel im Karl Marx Hof im 19. Bezirk. Dadurch gibt es in Wien sozialen Wohnbau auch in den Innenbezirken, was zu einer gut funktionierenden sozialen Durchmischung der Stadt führt.
Vor welchen Herausforderungen steht der Wiener Wohnungsmarkt aktuell?
Haderer: Der Druck zu privatisieren ist da. Es gibt viele Investoren, die an „Betongold“ interessiert sind. Zum Beispiel sind Investitionen in Zinshäuser eine sichere Anlagemöglichkeit. Es gibt auch einen Druck auf Bodenpreise. Es wird immer schwieriger für die Stadt, in Wien günstige Grundstücke zu kaufen. Außerdem sind die Baunormen gestiegen. Es geht schlichtweg nicht mehr, ökologische Normen zu vernachlässigen oder nicht rollstuhlgerecht zu bauen. Das führt dazu, das Bauen teurer geworden ist. Als Lösung werden alte Zinshäuser aufgekauft oder stillgelegte Bahnhofsgelände bebaut.
Wie bewerten Sie die Wohnpolitik der letzten Wiener Stadtregierung, etwa die reformierte Wohnbauförderung oder die Wohnbauoffensive "Gemeindebau Neu"?
Haderer: Die Stadt Wien wächst demografisch sehr stark. Es gibt eine sehr hohe Nachfrage nach Wohnraum. Wenn man den Wohnbereich nicht komplett dem freien Markt überlassen möchte, dann ist es ganz sicher die richtige Strategie. Auch um soziale Ausdifferenzierungen zu verhindern. Der freie Wohnungsmarkt baut eher im höherpreisigen Segment. Die Stadt kümmert sich tendenziell eher um das niedrigpreisige Segment mit dem geförderten Wohnbau, Genossenschaftswohnungen und der Offensive „Gemeindebau Neu“.
Baut die Stadt Wien genug neue Gemeindewohnungen, um der steigenden Nachfrage nach leistbarem Wohnraum gerecht zu werden?
Haderer: Es ist klar, dass 1.900 Wohnungen viel zu wenig sind. Das ist ein häufiger Kritikpunkt am neuen Konzept. Das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Im internationalen Vergleich ist es eher ungewöhnlich, dass eine Stadt heutzutage selbst noch baut. Berlin macht es wieder, dort kauft die Stadt verkauften Wohnungsbau wieder auf. Die Stadt Wien nimmt eine bewahrende Haltung ein und baut ein bisschen.
Wiener Wohnpolitik: Ein Erfolgsmodell?
Während in anderen Großstädten die Mieten geradezu explodieren, sind die Mietpreise in Wien auf einem vergleichsweise niedrigem Niveau geblieben und ermöglichen weiterhin leistbaren Wohnraum. Somit gilt der über Jahrzehnte aufgebaute kommunale Wohnbau in Wien als Erfolgsmodell.
Seitenübersicht
Seitenübersicht
- Karl Seitz, Wiener Bürgermeister 1923-1934
Am 12. Oktober 1930 zur Eröffnung des Karl-Marx-Hofs sprach der damalige Wiener Bürgermeister Karl Seitz diesen mittlerweile berühmten Satz. Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei verfügte damals über eine absolute Mehrheit und baute im Rahmen des Wiener Wohnbauprogrammes bis 1934 382 Gemeindebauten mit über 64.000 Wohnungen.