In unserer Reportage geht es um Krankheit, Verlust, Trauer und Tod. Wir wissen, dass diese Themen emotional herausfordernd sein können.
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Eine Multimedia-Reportage von Melissa Untersmayr, Irina Wittmann und Lisa Marie Wögerbauer.
Der Tod gehört zum Leben. Und doch bleibt er oft außen vor – im Alltag, in Gesprächen, im Denken.
Wir haben einen Ort besucht, an dem der Tod allgegenwärtig ist. Nicht als Katastrophe. Nicht als eine Form des Scheiterns. Sondern als Teil dessen, was uns als Menschen ausmacht.
Wir befinden uns auf der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin. Die Patient*innen, die hier betreut werden, haben alle eines gemeinsam:
Sie sind schwerkrank. Ohne Aussicht auf Heilung.
Ziel der palliativen Versorgung ist es, die Zeit, die noch bleibt, so angenehm wie möglich zu gestalten. Schmerzen lindern, Lebensqualität erhöhen.
David arbeitet seit mehr als zwei Jahren auf 17.K. Er ist diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger.
David findet Palliativ Care als Begriff passender. Denn die Palliativmedizin ist weit mehr als "nur" Medizin:
Nur ein kleiner Teil (12,6 Prozent) der Versorgung von sterbenden oder schwerkranken Menschen entfällt auf Palliativstationen in Krankenhäusern, wie jene, die wir im AKH Wien besucht haben.
In ganz Österreich gibt es 365 Hospiz- und Palliativeinrichtungen für Erwachsene. Zusätzlich sind knapp 40 Einrichtungen auf die palliative Betreuung von Kindern und Jugendlichen spezialisiert.
Der Dachverband Hospiz Österreich vertritt die Interessen der insgesamt über 400 Mitglied-Organisationen im Palliativ- und Hospizbereich.
Catrin Neumüller, Pressesprecherin des Dachverbandes Hospiz Österreich
Wir kümmern uns um Bildungsagenden, wollen die Bevölkerung informieren. Außerdem gibt es viele Angebote für Fachpersonal, etwa Tagungen oder Vernetzung. Wir setzen uns im Sinne der betroffenen Menschen für die Hospizbewegung ein.
Die Grafik unterhalb zeigt, wie die Versorgung von schwerkranken Menschen in Österreich organisiert ist. Palliativstationen bieten Betreuung in akuten Situationen. Ein Aufenthalt sollte maximal drei Wochen lang dauern.
Struktur der Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich
Auf der Website von Hospiz Österreich finden sich Erklärungen dazu, was beispielsweise ein Palliativkonsiliardienst ist oder wodurch sich Mobile Palliativteams und Hospizteams unterscheiden.
Antippen und nach unten scrollen, um mehr zu erfahren:
Website des Dachverbandes Hospiz Österreich
Zurück zu David: Wir begleiten ihn durch einen Tagdienst auf der Palliativstation.
Auf zwölf belegte Betten kommen tagsüber vier Pflegekräfte, drei davon machen einen langen Dienst. In der Nacht sind wir zu zweit.
Empfang im 17. Stockwerk des roten Bettenhauses
David Dreier bereitet Infusionen und Arzneimittel vor
Nachttisch einer Patientin
Aufenthaltsbereich für Angehörige und Besucher*innen
Pfleger im Pausenraum
Eine Patientin hat Blumen bekommen
Auf der Palliativstation wird musiziert
Dosierung von Medikamenten
Blick in den Stationsgang
Pflegepersonal tauscht sich untereinander aus
Reagenzgläser mit Blutproben
Leeres Krankenpflegebett
Auf dem Bild unterhalb ist der Stützpunkt zu sehen. Er ist der zentrale Arbeitsbereich für das (Pflege-)Personal. Von hier aus wird die gesamte Krankenhausstation organisiert.
Mit Mausklick auf die weißen Punkte kannst Du mehr über jene medizinischen Gegenstände erfahren, mit denen David täglich arbeitet.
Pflegestützpunkt der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin im Universitätsklinikum AKH Wien
Ein Portkatheter (engl. port-a-cath) ist eine Form von Zugang, der vor allem bei der Krebsbehandlung eingesetzt wird. Er hat den Vorteil, dass er länger im Körper bleiben kann. Im Zugang ist eine Art Schwamm, der mit dem Blutsystem verbunden ist. Man muss also nicht immer neu stechen. Das macht Infusionen für Patient*innen und Personal einfacher.
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Grundrechtecharta der EU, Artikel 1
Dieser Satz bestimmt Davids tägliche Arbeit in der Palliativ Care. Denn ein würdevolles Leben heißt auch, in Würde sterben zu dürfen.
Erst die moderne Hospizbewegung habe die Bedeutung vom "guten Sterben" wieder ins Bewusstsein gerückt, sagt Catrin Neumüller. In Österreich ist die Bewegung in den späten 1980er-Jahren gewachsen.
Als Begründerin gilt die britischen Ärztin Cicely Saunders (links).
Sie prägte den Grundsatz, dass es im Angesicht des Todes nicht nur um medizinische Versorgung, sondern um die ganzheitliche Begleitung von Patient*innen geht – körperlich, seelisch, sozial und spirituell.
Ziel war und ist es, schwerkranken Menschen bis zuletzt ein möglichst schmerzfreies, selbstbestimmtes und menschlich begleitetes Leben zu ermöglichen.
Palliativversorgung hilft Menschen mit schwerer, unheilbarer Krankheit – oft über Monate oder Jahre.
Hospizbegleitung meint konkret Unterstützung in der letzten Lebensphase, wenn der Tod nah ist.
Palliativ Care hat viel mit Sterben zu tun. Aber eben nicht nur.
David Dreier, Palliativpfleger
Regina ist 68 Jahre alt. Vor mehr als zehn Jahren hat sie zufällig die Diagnose Brustkrebs erhalten.
Aktuell wird sie von David palliativ betreut, im Anschluss möchte sie in ein Pflegeheim gehen.
Idealerweise verlassen Patient*innen das Krankenhaus, sobald sich ihr Gesundheitszustand stabilisiert. Dennoch:
Pro Woche gibt es etwa ein bis zwei Todesfälle. David sagt, häufiger versterben Personen zu den Feiertagen oder in den Morgenstunden.
Auf der Palliativstation hat der Tod nichts Überraschendes, nichts Schreckliches.
Er wird erwartet. Und oftmals bringt er Erlösung: nach Wochen, mitunter Jahren des Leidens.
Es gibt einen eigenen Raum, in dem sich Angehörige von der verstorbenen Person verabschieden können. Dieser Raum kommt zum Einsatz, wenn mehrere Patient*innen in einem Zimmer untergebracht sind. David erzählt uns, dass jede Verabschiedung anders abläuft:
Es hängt ein bisschen davon ab, ob die Menschen religiös sind oder nicht. Viele holen sich dann einfach ihren Seelsorger dazu. Oder wir fordern jemanden vom Krankenhaus an.
Verabschiedungsraum der Klinischen Abteilung für Palliativmedizin im Universitätsklinikum AKH Wien
Man schließt die Augen der Toten behutsam; nicht minder behutsam muß man die Augen der Lebenden öffnen.
Jean Cocteau, Schriftsteller und Künstler
David's Kollegin Jana Dallner erklärt uns, welche Rituale es gibt, bevor eine verstorbene Person die Palliativstation verlässt.
David Dreier und Jana Dallner transportieren einen verstorbenen Patienten ab.
Zum ersten Mal versorgte David einen verstorbenen Körper bereits während seiner Pflegeausbildung. Das sei einschneidend gewesen:
Man hat Berührungsängte. Es ist total komisch, wenn keine Körperspannung da ist. Ganz anders, als bei einem Lebenden.
Mit jeder Person, deren Tod David miterlebt hat, kehrte Routine ein. Aber: daran gewöhnt zu sein, bedeutet nicht automatisch emotionale Distanz.
Als Palliativpfleger ist David regelmäßig mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert.
In der Gesellschaft sieht das anders aus:
Catrin Neumüller vom Dachverband Hospiz Österreich findet gleich mehrere Gründe dafür, warum Sterben nach wie vor ein Tabu ist:
Jedes Jahr sterben in Österreich etwa 90.000 Menschen. Viele wollen zu Hause bzw. in ihrer vertrauen Umgebung aus dem Leben scheiden. Man geht davon aus, dass dies nur in einem Drittel der Fälle gelingt.
Hinweis: Die Sterbeorte werden in Österreich aktuell statistisch nicht flächendeckend erfasst. Untenstehende Daten wurden im Jahr 2020/21 von der Palliativkoordination Steiermark veröffentlicht.
Jene Daten stützen, was auch David auf seiner Station beobachtet. Die meisten Menschen sterben im Krankenhaus.
Grund dafür: Das Spital vermittelt Sicherheit. Und es übernimmt Verantwortung, die das Umfeld oft nicht tragen möchte.
Eigentlich sollte das Sterben wieder mitten unter den Lebenden stattfinden.
David Dreier, Palliativpfleger
David übernimmt eine Aufgabe, vor der viele Menschen zurückschrecken. Sein Job ist fordernd, und zwar körperlich sowie emotional.
Was hält David in einem Job, wo er ständig mit Krankheit und Tod konfrontiert ist?
Man begleitet die Menschen sehr intensiv. Aber das, was man zurückbekommt, wiegt die Belastung auf.
David Dreier, Palliativpfleger
David weiß, was es bedeutet, einen geliebten Menschen gehen zu lassen. Der Verlust seiner Mutter habe ihm den Boden unter den Füßen weggerissen, sagt er. Und seinen Blick auf das Leben verändert.
Was er selbst erlebt hat, gibt ihm ein besonderes Gespür für die Bedürfnisse von sterbenden Patient*innen und ihren Angehörigen.
Doch immer noch hängt die palliative bzw. hospizliche Versorgung in Österreich stark vom Wohnort ab. Der Ausbau in den Bundesländern sei bisher regional sehr unterschiedlich verlaufen, so Catrin Neumüller.
In einem Bundesland gibt es eher stationäre, anderswo mobile Strukturen. Das ist abhängig von den einzelnen Pionieren, die gute Lösungen in ihren Regionen umsetzen wollten.
Eine Gesetzesnovelle im Jahr 2022 (Hospiz- und Palliativfondsgesetz) sollte Versorgungslücken schließen. Lokale Unterschiede im Ausbau beiben dennoch bestehen, unter anderem aufgrund der Finanzierung:
Catrin Neumüller erklärt uns abschließend, was es brauchen würde, damit Menschen tatsächlich selbst entscheiden können, wie ihr Lebensende aussieht:
Sterben ist ebenso natürlich wie das Geborenwerden, und für einen Säugling ist das vielleicht so schmerzhaft wie für uns das andere.
Francis Bacon, Philosoph
Diese Multimedia-Reportage wurde von Studierenden im Rahmen des Master "Journalismus & Neue Medien" an der FH der WKW produziert.
Irina Wittmann: Videoaufnahmen, Schnitt Lisa Marie Wögerbauer: Audioaufnahmen, Schnitt Melissa Untersmayr: Fotografien, Schnitt, Pageflow
Betreut von: Regula Blocher, Matthias Eberl und Ferdinand Holsten
Wir bedanken uns beim gesamten Team der Palliativstation am AKH Wien. Insbesondere bei David Dreier, Jana Dallner und den Patient*innen Regina und Manuela, die besondere Einblicke ermöglicht haben.
Dank gilt auch dem Dachverband Hospiz Österreich, dessen Pressesprecherin Catrin Neumüller unser Projekt unterstützt hat.
Telefonseelsorge – 142 | Rund um die Uhr, auch via Online-Chat oder Mail
www.telefonseelsorge.at |
Rat auf Draht – 147 | Speziell für Kinder und Jugendliche
www.rataufdraht.at |
Psychosozialer Notdienst
Wien – 01 4000 53000 | Ärztliche, psychologische und mobile Hilfe für Menschen mit psychischen Krankheiten
www.psd-wien.at |
Kriseninterventionszentrum
Wien – 01 406 95 95 | Hilfe für Personen in akuten Krisensituationen
www.kriseninterventionszentrum.at |
Dachverband Hospiz
Österreich – 01 803 98 68 | Information und telefonische Erstberatung für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen
www.hospiz.at |