Gewalttätig zur vierten Gewalt
Gewalttätig zur vierten Gewalt
von Frederik Hocke
Querdenker*innen-Szene: Diffus und dennoch gemeinsam
Im Laufe eines Jahres entwickelte sich so eine diffuse Szene. Von fundamentalistischen Christ*innen über Esoteriker*innen bis hin zu gewalttätigen Neonazis waren auf den Demos eine Vielzahl politischer und geistiger Strömungen zu beobachten. Getrennt in vielen Werten, aber vereint in der einen Sache: Der Protest gegen die Regierung und ihr Corona-Management.
Diese Bewegung rief zwischen Jänner und April beinahe jede zweite Woche zu Großdemos in Wien auf. Dort sollte laut eigenen Angaben friedlich gegen die Einschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie demonstriert werden.
Diese Multimedia-Reportage wird aufzeigen, welche Auswirkungen die Gewalt der Demonstrant*innen gegen Journalist*innen auf die Pressefreiheit in Österreich hat und welche Gefahren damit einhergehen.
Gewaltsam für die Freiheit
Kaum ein Wochenende vergeht, an dem kein*e Pressevertreter*innen auf Demos angegangen, geschubst, bespuckt, bedroht oder sogar körperlich angegriffen werden. Das alles geschieht unter dem Deckmantel des Protests für "Frieden und Freiheit" und gegen eine "Diktatur", wie sich es die Demonstrationsteilnehmer*innen immer wieder auf ihre Fahnen schreiben und ein oft gehörter Demospruch aus der Szene besagt. Im Zusammenhang mit Presseberichterstattung fällt haufig der Kampfbegriff "Lügenpresse". Menschen, die von Medien und Politik nicht mehr abgeholt werden und eine eigene Echokammer bilden - diese Gefahren drohen bei der Abschottung von vertrauenswürdigen Informationen und kann auch zu Übergriffen auf Journalist*innen führen.
Warum?
Dennoch wirkte die gesundheitspolitische Katastrophe wie ein Katalysator, der Auswirkungen auf die Pressefreiheit in Österreich hat. Grund dafür sind laut der Einschätzung von Reporter ohne Grenzen Angriffe auf Corona-Demonstrationen, die strikte Message-Control der Regierung sowie der geplante Stellenabbau bei der Austria Presse Agentur.
Journalismus in einer Demokratie
Die vierte GewaltWozu brauchen wir überhaupt Journalismus?
Journalismus nimmt in einer liberalen Demokratie eine essenzielle Rolle ein. Einerseits braucht eine demokratische Regierung die Hilfe des Journalismus um bestimmte Gruppen des Volks zu erreichen, andererseits berichten Journalist*innen und Medienunternehmen über aktuelle Geschehnisse, die politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich von Relevanz sind.
In der Kommunikationswissenschaft wird hierbei zwischen unterschiedlichen Funktionen, die der Journalismus für eine Gesellschaft einnimmt gesprochen.
Informationsfunktion
Politische Funktionen
Seit der Etablierung des Internets und besonders den Sozialen Medien ist die Möglichkeit der Teilhabe am medialen Diskurs und eine damit einhergehende Auseinandersetzung mit aktuellen Themen stark angestiegen.
Übergriffe und Gefahren
Übergriffe auf Demonstrationen
Deshalb ist es wichtig, die Opfer von Gewalt selbst zu Wort kommen zu lassen, um die Lage der Pressefreiheit auf Corona-Demos einschätzen zu können.
Angriff, Übergriff, Attacke?
Filmen verhindern
Das Verhindern von Filmaufnahmen ist eine der Einschränkungen, die neben Beleidigungen auf Demos am häufigsten vorkommt. Besonders durch eine (Video)kamera wird man schnell als Journalist*in erkannt und zieht damit die Aufmerksamkeit der Demonstrierenden auf sich.
Schläge
Angriffe können allerdings auch bis hin zu Schlägen oder Tritten reichen. Oftmals handelt es sich hier um Angriffe von organisierten Rechten oder dem Hooliganmilieu, wie Wiener Journalist*innen berichten.
Stoßen
Auch das Anrempeln, Stoßen oder Schubsen gehört zu den Übergriffen, die auf Anti-Corona-Demos regelmäßiger passieren. Besonders Foto- und Videoreporter*innen sind davon betroffen.
Pfefferspray
ein Angriff der längere Nachwirkungen haben kann: Der Pfefferspray-Einsatz. Ein Solcher ist nach dem Waffengesetz sogar als Angriff mit Waffe zu ahnden.
Hasskommentare
Diese Form von Angriffen beschränkt sich nicht nur auf Journalist*innen die von Demos berichten. Besonders Journalistinnen sind dem Risiko einer Beleidigung im Internet ausgesetzt. So werden Journalistinnen ebenfalls häufiger auf sexuelle Weise bedroht und beschimpft.
Doxing
Das Doxing, sprich das Zusammenstellen und Verbreiten von privaten Informationen von Journalist*innen im Internet kann stark einschüchternd wirken. So kann Doxing auch zu Hausbesuchen von Journalist*innen führen. Das Sicherheitsgefühl von Journalist*innen kann durch solche Taten massiv eingeschränkt werden. Ebenfalls das Outing sexueller Einstellungen von Journalist*innen kann in diesen Tätigkeitsbereich gezählt werden.
Morddrohungen
Beleidigungen im Netz können an die Substanz gehen, besonders im Falle von Morddrohungen. In diesem Fall ist es wichtig, Anzeige zu erstatten, auch wenn die Anonymität im Netz oftmals dazu führt, dass eine Verfolgung der Drohung kaum möglich ist.
Verena MischitzDer Standard
Michael Bonvalotfreier Journalist
Angriffe in Österreich Dokumentation im Internet
Neben einigen Artikeln in Tageszeitungen hat sich insbesonders das Netzwerk freier Fotojournalist*innen "Presse Service Wien" zur Aufgabe gemacht, die Angriffe zu dokumentieren.
Der Standard
Artikel über angegriffene Journalist*innen
Markus Sulzbacher
Tweet über Attacke auf Fotografen am 31.01.
Presse Service Wien
Dokumentation verschiedener Angriffe auf eine Pressevertreterin am 06.03.
Wien TV
Video vom Angriff durch Schläge und Pfefferspray auf einen Journalisten am 31.01.
Kathi Weinmann
Tweet der ORF-Journalistin Kathi Weinmann über Beschimpfungen und Bespucken auf Demo am 06.03.
Michael Bonvalot
Video von Bedrängung eines Journalisten auf der Demo am 19.12.
Presseclub Concordia
Videotalk mit Journalist*innen aus Österreich, die auf Demos angegriffen wurden
Presse Service Wien
Video (Tweet) dokumentiert Angriff auf Journalisten
Chaosilog
Video von einem organisierten Angriff auf der Demo am 10.04.
Presse Service Wien
Tweet über Angriff auf eine Journalistin auf einer Demonstration
Presse Service Wien
Angriff auf einen Journalisten auf dem Heimweg in der U-Bahn nach der Demo am 06.03.
Nina Oezelt
Schilderung der Erlebnisse der Journalistin Nina Oezelt
Michael Bonvalot
Video mit Angriff auf der Demonstration am 10.04.
Julia Spacilfreie Fotografin
Markus SulzbacherDer Standard
Hass im Netz#Lügenpresse
Pressefreiheit in Österreich
Pressefreiheit in Österreich
Neben tätlichen Angriffen auf Pressevertreter*innen spielt ebenfalls der Umgang der Regierung mit Medien eine wichtige Rolle. Durch intransparente Inseratenschaltungen der Regierung begeben sich einige Medienhäuser in eine finanzielle Abhängigkeitssituation, die nicht selten durch freundliche Berichterstattung über Regierungsgeschäfte wertgeschätzt wird. Zudem nehmen Berichte über Interventionen in den Redaktionen durch das knapp 60-köpfige PR-Team des Kanzleramts zu, wie Falter und Standard berichten.
Aus diesem Grund ist Österreich seit 2019 im Reporter ohne Grenzen Ranking nicht mehr als "Land mit guter Pressesituation" gelistet. Die Gründe hierfür sind vielseitig.
Pressefreiheit messen
Allerdings muss sich der Index regelmäßig Kritik stellen: So sei die wissenschaftliche Verwertung dieser Skalen durch unterschiedliche Bewertungsmethoden und einen westlichen Bias streitbar. Dennoch eignet sich das Ranking gut, um Trends festzustellen. Diese gehen in Österreich seit einiger Zeit stetig bergab:
Press Freedom Index
Press Freedom Index
Daniela Kraus
Lösungsmöglichkeiten
Was tun?
Ein Meldetool für Angriffe auf Journalist*innen vom Presseclub Concordia und dem Verein für Zivilcourage soll Angriffe in Zukunft sichtbar machen. Dass sich so Gewalt nicht vermeiden lässt, versteht sich von selbst. Jedoch kann das Tool ein Anstoß für die Politik sein, um zu zeigen, dass sie nun am Zug ist.
Freund und Helfer?
Durch den Einsatz von Medienkontaktbeamt*innen sollte der Schutz verbessert werden. Dass diese keine wirklich positive Auswirkungen auf das Geschehen hatten, wird jedoch schnell deutlich...
Meldetool
Eine Möglichkeit, die Angriffe auf Journalist*innen in Österreich anderweitig sichtbar zu machen, ist ein digitales Meldetool des Presseclubs Concordia und dem Verein ZARA. Hier können Angriffe auf Journalist*innen online gemeldet werden, damit diese in Folge ausgewertet werden können.
Umgang der Journalist*innen mit Angriffen
Was bleibt?
Was bleibt?
Gerade in Anbetracht der essenziellen Rolle von Journalist*innen in einer Demokratie sollte die Pressefreiheit von der Politik als priorisiertes Problem behandelt werden. In den letzten Monaten hat sich leider gezeigt, dass die theoretische Pressefreiheit praktisch teilweise gar nicht so frei ist, wie immer gerne behauptet wird.
Dennoch bleibt zu hoffen, dass durch die Übergriffe deutlich wird, dass es neuer Lösungsansätze für das Problem bedarf. Denn wenn die Presse nicht mehr frei Berichten kann, dann fängt die vierte Säule der Demokratie an zu bröckeln. Wozu das führen kann, lässt sich einfach ausmalen.