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FHWien

Datengeschichte von Amira Ali. Entstanden im Rahmen des Master-Studiums „Journalismus & Neue Medien“ der FHWien der WKW.

Medien

Der gefährlichste Ort für Frauen: Ihr Zuhause

Jede dritte Frau in Österreich wird im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt – häufig durch einen Partner oder Ex-Partner. Statistiken belegen, dass die eigenen vier Wände für viele Frauen der gefährlichste Ort sind. Warum kommt es zu dieser Gewalt und welche Maßnahmen können helfen, sie zu verhindern?

Von Amira Ali

Auf den ersten Blick wirken die Bilder am Burgring wie gewöhnliche Einblicke in einen normalen Alltag: eine Eingangstür, eine Treppe, ein Kinderzimmer mit einem Kuscheltier. Doch bei näherem Hinsehen offenbart sich eine andere Realität. Denn diese Orte und Gegenstände sind Zeugen. Zeugen von Gewalt, Gewalt gegen Frauen. „Warum hast du das getan, Papa?“, liest sich ein Zitat neben einem der Bilder.

Diese Foto-Text-Paare sind Teil der Ausstellung „Warum lachst du nicht? 14 Geschichten über häusliche Gewalt“ von dem österreichischen Künstler Robert Fleischanderl, die vom 25. November bis 10. Dezember am Heldenplatz, Burgring und Vorplatz des Museumsquartier zu sehen waren. Sie sollen das zeigen, was oft im Verborgenen geschieht: Gewalt an Frauen, mitten in ihrem Zuhause.

Die Ausstellung wurde von Michaela Egger, damalige Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrums Niederösterreich, initiiert und ist Teil der Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“. Mit anonymisierten Bildern und Texten aus Gerichtsakten, medizinischen Befunden und Erinnerungsberichten erhaltet die Betrachterin oder der Betrachter einen Einblick in die Geschichte von 14 betroffenen Frauen.

Die Zahlen hinter der Gewalt

Das Bundeskanzleramt definiert häusliche Gewalt als „Gewalttaten, die zwischen Personen geschehen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben oder eine enge (familiäre) Beziehung haben oder hatten.“

Darunter fallen Gewalt zwischen Eltern und Kindern, aber vor allem Gewalt zwischen (Ex)-Partner und (Ex)-Partnerinnen. Laut Statistik Austria erlebt jede dritte Frau in Österreich Gewalt in ihrem Leben, häufig durch einen Partner oder Ex-Partner.

Häusliche Gewalt bedeutet aber nicht immer körperliche Gewalt. Psychische Gewalt - Beschimpfungen, Erniedrigungen oder übermäßige Eifersucht - ist die häufigste Form von Gewalt in Beziehungen, aber auch die am meisten übersehen wird.

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Warum Männer?

Im Sommer 2024 erschien der Film „It Ends With Us“ in den Kinos. Die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Colleen Hoover widmet sich dem Thema häuslicher Gewalt. In einem Interview mit CBS Mornings erläutert Produzent und Hauptdarsteller Justin Baldoni, dass die häufigste Frage in solchen Situationen laute: Warum ist die Frau geblieben? Diese sei jedoch die falsche Frage. Viel wichtiger sei es zu fragen: Warum fügen Männer Schaden zu?

Betrachtet man beispielsweise die Zahl der verurteilten Täter und Täterinnen bei Tötungsdelikten erkennt man eine hohe Geschlechterdifferenz in Österreich. Im Jahr 2022 zeigt sich, wie in den vorherigen Jahren, ein starkes Ungleichgewicht: Von insgesamt 38 Verurteilungen entfielen 37 auf Männer und nur eine auf eine Frau.

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Der Verein Autonomer Österreichischer Frauenhäuser (AÖF) erklärt in einem Informationsblatt, dass Gewalt gegen Frauen tief in patriarchalen Denkmustern verwurzelt sei. Viele Täter wuchsen in gewalttätigen Haushalten auf und würden nie gelernt haben, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Ihre Handlungen würden auf einem toxischen Männlichkeitsbild beruhen, das Dominanz und Kontrolle über den Partner oder der Partnerin rechtfertigen würde. 

Besonders gefährlich wird es für Frauen, wenn sie ihre Partner verlassen wollen. Viele Männer empfinden dies als Kontrollverlust und reagieren mit Eskalation.

2024 wurden laut dem AÖF 27 Femizide gezählt. Österreich ist damit im EU-Vergleich über den Durchschnitt. Doch auch diese Zahl zeigt nur die Spitze des Eisbergs.

Die Dunkelziffer ist hoch, denn Täterstrategien wie Manipulation und Verharmlosung verschleiern die Gewalt. Häufig wird auch eine Täter-Opfer-Umkehr vollzogen, bei der Frauen eine Mitschuld an ihrem eigenen Mord zugeschrieben wird.

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Wer genau ist betroffen?

Der Tätigkeitsbericht des Gewaltschutzzentrum Wiens dokumentiert, dass im Jahr 2023 ungefähr 80 Prozent der Klienten und Klientinnen weiblich waren. Nur ein Fünftel der Klienten und Klientinnen war männlich. Darunter fallen jedoch Buben und Jugendliche, die wie der meiste Anteil der Opfer, männlicher Gewalt ausgesetzt waren, sei es vom eigenen Vater oder anderen männlichen Familienmitglieder.

Auch zeigte sich, dass besonders die Altersgruppe zwischen 19 und 40 Jahren der weiblichen Opfer am stärksten von häuslicher Gewalt betroffen sind. Das bestätigt auch eine Eurostat-Erhebung aus 2021. Dennoch ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass häusliche Gewalt in allen Altersgruppen vorkommt. Rund die Hälfte der im Jahr 2023 beratener Klienten und Klientinnen sind österreichische Staatsangehörige, gefolgt von Angehörigen anderer Staaten mit knapp 27 Prozent.



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Wege aus der Gewalt

Im Mai 1997 wurden mit dem ersten Gewaltschutzgesetz drei rechtliche Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt eingeführt: das Betretungsverbot, die einstweilige Verfügung zum Schutz vor Gewalt und Gewaltschutzzentren. In den Jahren 2020 und 2021 kamen noch das Annäherungsverbot und die Gewaltpräventionsberatung als weitere Schutzinstrumente hinzu.

Gewaltschutzzentren sind eine der ersten Anlaufstellen für Betroffene. Sie bieten rechtliche und psychologische Unterstützung, Schutzwohnungen und langfristige Begleitung. Allein 2023 wurden 6.708 Personen, die von Gewalt im sozialen Nahraum, im Gewaltschutzzentrum Wien unterstützt und betreut worden. Die 14 Frauen in Fleischanderls Fotokunstprojekt gehören zu jenen betroffenen Frauen, die sich Hilfe geholt haben.

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Dennoch stoßen diese Maßnahmen an ihre Grenzen. Die Ausstellung „Warum lachst du nicht?“ zeigt, dass sich die Gesellschaft noch intensiver mit dem Thema häusliche Gewalt auseinandersetzen muss. Denn trotz hoher Medienresonanz wurden 44 von 56 Displays zerstört. Die Polizei stufte dies als Hate Crime ein.

Robert Fleischanderl berichtet aber auch von viel Zuspruch: „Freunde und auch mir unbekannte Menschen und Passanten haben die Ausstellung immer wieder zusammengeklebt, sodass die Bilder erkennbar und die Texte lesbar blieben.“ Auch ein Spendenaufruf in den sozialen Medien brachte innerhalb weniger Tage genug Geld für einen professionellen Wachdienst ein.

Fleischanderl ergänzt: Das Erzählen der Geschichten von Frauen ist ein rebellischer Akt gegen das Verschwinden, indem es das Unsichtbare sichtbar macht , sagt der Künstler. Auf die Frage ob er glaube, dass gewalttätige Männer ihr Verhalten aufgrund der Ausstellung reflektieren würden, antwortet Fleischanderl, dass er diesen Gedanken für zu optimistisch halte. Seine Hoffnung liege vielmehr darin, dass betroffene Frauen sich Hilfe holen und junge Frauen und Mädchen frühzeitig die Anzeichen von Partnergewalt erkennen und junge Männer zu einem kritischen Nachdenken über Männlichkeit und Verhalten anzuregen.





Daten und Lücken: Wo Österreich steht

Neben dem Schutz von Frauen vor jeglicher Form von Gewalt als auch die Zurverfügungstellung von Unterstützungsangeboten für Betroffene, sind die Staaten laut der Istanbul Konvention unter Artikel 11 dazu verpflichtet „in regelmäßigen Abständen einschlägige genau aufgeschlüsselte statistische Daten über Fälle von allen in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt zu sammeln.“ Ebenfalls werden die Vertragsparteien laut dem Abkommen dazu aufgefordert die gesammelten Daten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Ein Blick auf die Datenlage in Österreich zeigt aber Lücken auf. Zumal sind Daten meistens älter, die jüngste umfassende Statistik in Österreich ist vom Jahr 2021 von der Statistik Austria. Auf Anfrage nach den Rohdaten des Tätigkeitsbericht 2023 des Gewaltschutzzentrum Wiens wurde eine Vermittlung untersagt. Auch die EU-Umfrage zu geschlechtsspezifischer Gewalt von 2024 bezieht ihre Daten bezüglich des Themas „Gewalt durch einen Intimpartner“ aus einer Umfragewelle von 2021.

Diese Lücken zeigen sich auch in der opferschutzorientierten Arbeit. Der Standard berichtet 2021, dass in Österreich Beratungsstellen für Gewaltprävention von der Polizei Informationen und Daten über den Tathergang und die Aussagen des Täters erhalten. Um jedoch die Perspektive des Opfers in ihre Arbeit einzubeziehen, benötige man die Zustimmung des Täters, es sei denn, es handele sich um einen Hochrisikofall mit unmittelbarer Gefahr. In allen anderen Fällen ist der Datenaustausch mit Opferschutzeinrichtungen freiwillig.

Michael Rachlinger, Leiter der Beratungsstelle für Gewaltprävention in Salzburg, kritisierte im Gespräch mit dem Standard diesen Prozess. Er fordert eine Änderung des Gewaltschutzgesetzes, sodass die Einholung der Zustimmung des Täters nicht mehr erforderlich ist. Laut Rachlinger entspricht die aktuelle Regelung nicht dem Prinzip der „Verpflichtung zur opferschutzorientierten Täterarbeit“, wie es im Gesetz vorgesehen ist.





Kritik an Österreich übte auch der Grevio-Bericht 2024 im Bereich Familienrecht. Frauen würden trotz Schutzmaßnahmen oft gezwungen werden den Kontakt ihrer Kinder zum gewalttätigen Elternteil zu ermöglichen. GREVIO fordert aufgrund dessen verstärkte Schulungen für Familienrichter und -richterinnen, um die Sicherheit von Gewaltopfern und deren Kindern stärker zu berücksichtigen.

Gewalt gegen Frauen ist kein privates Problem, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft. Die Ausstellung „Warum lachst du nicht?“ macht deutlich, dass Österreich beim Thema Gewalt gegen Frauen noch Verbesserungsbedarf hat. Sie zeigt zudem, dass selbst Fotografien nicht vor Gewalt sicher sind. „Meine Hoffnung ist, dass dieses Kunstprojekt mehr Bewusstsein für das gesellschaftlich hochbrisante Thema Häusliche Gewalt schafft und gleichzeitig eine differenzierte Auseinandersetzung ermöglicht“, sagt Fleischanderl.

Datenerhebung

Die Daten wurden von den offiziellen Webseiten der Statistik Austria, Statista, Eurostat, dem Gewaltschutzzentrum Wien und dem Verein Autonomer Österreichischer Frauenhäuser herangezogen. Soweit Rohdaten vorhanden waren, wurden diese einer Datenbereinigung in Excel unterzogen. Die für den Kontext relevanten Daten wurden extrahiert und mittels Datawrapper grafisch aufbereitet.

Links zu den Quellen

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/frauen-und-gleichstellung/gewalt-gegen-frauen/gewaltformen/haeusliche-gewalt.html

https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2022/11/20221125GewaltgegenFrauen.pdf

https://www.youtube.com/watch?v=niSOhLp-jdE

https://www.aoef.at/images/04a_zahlen-und-daten/Information_Gewalttaeter_und_Taeterstrategien.pdf

https://www.aoef.at/index.php/femizide-in-oesterreich

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1454407/umfrage/betretungs-und-annaeherungsverbote-in-oesterreich-nach-bundeslaendern/

https://www.bmi.gv.at/408/Projekt/start.aspx

https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:8892650c-2aee-4195-b4b0-8ebfb66bcfcd/EuR-Konvention_Gewalt_gegen_Frauen.pdf

https://ec.europa.eu/eurostat/documents/7870049/20464303/KS-01-24-013-EN-N.pdf/052adbe2-40bd-9472-87c0-ed14c7106bfa?version=1.0&t=1732193841491

https://www.derstandard.at/story/2000130113322/mit-taetern-reden-verpflichtende-beratung-fuer-gefaehrder

https://www.coe.int/de/web/portal/-/austria-despite-positive-steps-progress-still-needed-in-family-law-cases-related-to-domestic-violence





Hilfe für Gewaltbetroffene:

  • Frauenhelpline (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 222 555
  • Gewaltschutzzentren (anonym und kostenlos): 0800 / 700 217
  • Männerberatung (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 400 777
  • Männernotruf (Mo–So, 0–24 Uhr, anonym und kostenlos): 0800 / 246 247
  • Telefonseelsorge (Mo–So, 0–24 Uhr, vertraulich und kostenlos): 142