Während immer mehr Länder auf Pfandsysteme und Verbote setzen, um Plastikmüll zu reduzieren, läuft im Labor ohne Einwegprodukte gar nichts. Engagierte Forschende versuchen, dies zu ändern – und zeigen auf, wie groß die Plastikflut in biomedizinischen Laboren tatsächlich ist.
"Klick". "Klick". In regelmäßigen Abständen unterbricht das Geräusch die konzentrierte Stille im Labor. In einem Wiener Forschungsinstitut bereitet Gabriela eine DNA-Analyse vor. Mit ihrer Pipette füllt die Biologin kleinste Mengen flüssiger Reagenzien in jedes der Dutzenden Proben. Jedes Mal, wenn sie die Einweg-Plastikspitze ihrer Pipette mit einem leisen "Klick" abwirft, landet sie im Müllbehälter auf der Werkbank. Für jede Probe braucht sie eine neue Pipettenspitze, um sie nicht mit den Resten der vorherigen Probe zu kontaminieren. Nachdem Gabriela diesen Teil des aufwendigen Experiments abgeschlossen hat, streift sie die blauen Einweghandschuhe ab, und lässt sie zu den zahllosen Pipettenspitzen in den Müll gleiten. Dann, schwupps, gesellen sich dutzende Kunststoff-Gefäße in Klein und Groß dazu. Nicht lange, nachdem sie am Morgen ins Labor kam, hat die Forscherin bereits einen kleinen Plastikberg hinterlassen.
In lebenswissenschaftlichen Forschungsinstituten und medizinischen Diagnostiklaboren ist diese Szene Alltag: Plastik ist dort schon lange nicht mehr wegzudenken. Es zerbricht nicht, reagiert nicht mit anderen Stoffen und kann keimfrei geliefert werden. Fast ausschließlich ist es Einwegkunststoff, der meist in Spezial-Anlagen verbrannt wird. Dadurch gelangt der Müll zwar nicht in die Umwelt, doch die Verbrennung ist energieintensiv und für bis zu 50% des CO2-Fußbadrucks des Plastikprodukts verantwortlich. Hinzukommen die schlechte CO2-Bilanz durch die Rohstoffgewinnung – Ausgangspunkt für viele Kunststoffe ist Erdöl – und durch die langen Transportwege von Produkten wie Schutzhandschuhen, die oft in Ostasien hergestellt werden.
Laut OECD-Statistik steigt die globale Plastikproduktion ungebremst an und hat sich seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Nur ein kleiner Bruchteil befindet sich in einem Recycling-Kreislauf. Der Rest wird verbrannt, füllt Deponien oder landet gar in der Umwelt. Seitdem die damit verbundenen Umwelt- und Ressourcenprobleme im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind, versuchen Regierungen gegenzusteuern. So trat 2021 ein EU-weites Verbot für Einwegprodukte wie Wattestäbchen oder Strohhalme in Kraft. Österreich führt mit 1. Jänner 2025 ein Pfandsystem auf Plastikflaschen ein, um auf die EU-Single-Use-Plastics-Richtlinie zu reagieren und die Mehrwegquote zu erhöhen.
Für die Lebenswissenschaften hingegen gibt es keine verpflichtenden Strategien zur Vermeidung von Plastik. Allerdings ist unbekannt, wie viel Müll die Forschung tatsächlich beiträgt – der Verbrauch wird nicht erfasst. Im Jahr 2015 sorgte ein Leserbrief an das Fachjournal Nature für Aufsehen: Basierend auf dem Plastikverbrauch des eigenen Labors spekulierten die Autoren, dass die Lebenswissenschaften jährlich für ungefähr 5,5 Millionen Tonnen Plastikmüll verantwortlich sein könnten. Das entspräche zwei Prozent der damaligen globalen Kunststoffproduktion. Die grobe Schätzung traf den Nerv einer Zeit, in der sich immer mehr Forschende fragten, wie die offensichtliche Plastikflut in ihrer täglichen Arbeit zu rechtfertigen sei.
Screenshot: Reddit.com
Einer von ihnen ist Philipp Weber. Der Molekularbiologe war Doktorand an der Uni Wien, als er zusammen mit Kolleg*innen "Green Labs Austria" gründete. Die Grassroots-Initiative vernetzt und informiert Lebenswissenschaftler*innen, die ihre Forschung ressourcenschonender gestalten wollen. "Die Idee entstand damals aus der Frustration heraus, zwar einerseits bei Fridays for Future für Nachhaltigkeit zu protestieren, dann aber täglich zu sehen, wie das im Labor keine Rolle spielt", sagt Weber.
Damit sich das ändert, ist ein Problembewusstsein in der Forschungs-Community notwendig. Dabei hilft zunächst, den anfallenden Müll zu quantifizieren und einzuordnen: Ein 25-köpfiges Labor des Green Labs-Netzwerkes bezifferte den eigenen Plastikmüll mit 1,3 Tonnen jährlich – laut Green Labs entspricht das dem 13-fachen Verbrauch eines durchschnittlichen österreichischen Haushalts. Der Wert ist aber wenig repräsentativ, da die Plastikmenge je nach Fachgebiet stark variieren kann: Wer sich etwa täglich um eine sterile Zellkultur kümmern muss, braucht besonders viel Material. Kürzlich analysierte Green Labs den Plastikmüll aus sieben österreichischen Laboren mit unterschiedlichen Spezialisierungen in Industrie und Forschung. "Wir haben die Studie noch nicht veröffentlicht*, aber ich kann verraten, dass der errechnete durchschnittliche Plastikverbrauch bei 116 Kilogramm pro Forscher*in pro Jahr liegt", erläutert Philipp Weber. Das ist mehr als dreieinhalbmal so viel, wie in Österreich pro Kopf an Plastik-Verpackungsmüll anfällt. Diese Menge lag 2022 bei etwa 33 Kilogramm, wenn man gemäß Eurostat von rund 300 000 Tonnen Verpackungsmüll in Österreich ausgeht.
* Nachtrag: Das Paper wurde im Jänner 2025 bei EMBO press veröffentlicht.
Die Daten bestätigen die Intuition vieler Lebenswissenschaftler*innen, dass ihre Arbeit verhältnismäßig viel Abfall erzeugt. Was können Labore also tun, um die Materialschlacht zu reduzieren? Eine Richtschnur ist die "3-R-Regel": "Reduce" und "Reuse" lauten die ersten beiden Rs. Manche Einwegprodukte können durch Alternativen aus Glas oder Metall ersetzt werden, die nach Wasch- und Sterilisationsschritten wiederverwendbar sind. "Eine Praxis, die in Laboren mit wenig Geld sowieso üblich ist", so Weber. Durch Maßnahmen wie diese kann ein 200-köpfiges Forschungsinstitut jährlich etwa 17 Tonnen Plastik einsparen, wie schottische Mikrobiolog*innen berechneten.
Wenn Plastik nicht ersetzt oder wiederverwendet werden kann – etwa bei sensiblen Experimenten, die absolut reines Material benötigen – kommt das dritte "R" ins Spiel: Recycle. Denn der meiste Plastikmüll aus dem Labor ist spätestens nach der verpflichtenden Sterilisierung unproblematisch und kann re- oder downgecycelt werden. Dafür muss der Kunststoff im Labor sortenrein vorsortiert werden, dann muss ein Recycling-Abnehmer gefunden werden.
Die R-Regeln im eigenen Labor umzusetzen verlangt das Engagement aller Teammitglieder und das Überdenken etablierter Abläufe. Für eine konsequente 3R-Strategie im Labor müssen viele Akteure eingebunden werden – von der Institutsleitung bis zum Müllmanagement der Gemeinde. Philipp Weber und die Mitglieder des Green Labs Austria sind dennoch überzeugt, dass die Forschung ein Vorbild für andere Branchen sein kann. "Ein systemischer Wandel in der Wissenschaft kann auch andere Bereiche unseres Lebens inspirieren – man denke nur an den Materialverbrauch in Krankenhäusern", sagt Weber.
Auch Gabriela begann in den letzten Jahren den Ressourcenverbrauch ihrer täglichen Arbeit zu hinterfragen und versucht, Plastik so gut es geht einzusparen. Auch wenn ihr Institut beim Stromsparen bereits Initiative gezeigt hat, gibt es noch keinen Dialog über plastiksparende Verhaltensänderungen. "Wenn auf solche hingewiesen wird, dann kommt es immer von Kolleg*innen und nie vom Management", so Gabriela. Und noch kaum eine Institution misst ihren Plastikverbrauch: Die in diesem Text erwähnten Schätzungen und Erhebungen gehen auf die Initiative engagierter Forscher*innen zurück. Sie zeigen, dass die Wissenschaft nicht nur durch ihre Forschungsergebnisse zu einer nachhaltigeren Welt beitragen kann – sondern auch durch ein Umdenken, wie ein Arbeitsalltag aussehen sollte, der planetare Grenzen respektiert.
Quellen: