Wie gut ist die Luft, die wir in Wien atmen, wirklich? Eine Analyse der Luftqualitätsdaten zeigt: Einer der gesundheitlich bedeutsamsten Schadstoffe wird der Öffentlichkeit weitgehend vorenthalten.
Jeden Tag veröffentlicht die Stadt Wien einen Luftgütebericht auf ihrer Website. Werte wie Ozon (O3), der Feinstaubwert PM10 oder Stickstoffdioxid (NO2) werden gemessen und nach einem festgelegten Schema bewertet. Diese Bewertung soll Bürger:innen über die aktuelle Luftqualität in der Stadt informieren.
Die Luftschadstoffe werden nach ihrer gesundheitlichen und ökologischen Wirkung in sechs Stufen eingeteilt: "sehr gut" bedeutet keine wahrscheinlichen Auswirkungen, "sehr schlecht" weist auf mögliche gesundheitliche Beeinträchtigungen für alle Personen hin.
Die Zahlen in den jeweiligen Kästchen zeigen die Anzahl der Messstationen an, die in die angegebenen Bewertungskategorien der oberen Zeile fallen.
Für den Feinstaubwert PM10 gilt beispielsweise ein 24h-Mittelwert von 0-20 μg/m³ als "sehr gut", während Werte über 151 μg/m³ als "sehr schlecht" eingestuft werden. Bewegt man den Mauszeiger über eine der Zahlen, sieht man zusätzlich den aktuell höchsten und niedrigsten Messwert, der an den jeweiligen Stationen gemessen wurde.
Doch ein gesundheitlich relevanter Schadstoff fehlt in dieser Darstellung komplett.
Es geht um den Feinstaubwert PM2,5.
Feinstaub wird in zwei Größenklassen eingeteilt: PM10 und PM2,5. PM10 Feinstaubpartikel haben einen Durchmesser von bis zu 10 Mikrometern. Das entspricht etwa dem Durchmesser eines menschliches Haars.
PM2,5 Feinstaubpartikel sind maximal 2,5 Mikrometer groß und damit etwa so klein wie Bakterien. Diese winzigen Partikel können tief in die Atemwege und Lungenbläschen eindringen. Anders als der gut sichtbare Staub von Baustellen oder Streusplitt können sie über Tage bis Wochen in der Luft verweilen und bis zu 1.000 km weit transportiert werden.
Grundsätzlich verfügt die Stadt Wien über ein umfassendes Netz an Messstationen.
Insgesamt 13 Stationen messen PM2,5-Werte im Stadtgebiet. Die Standorte sind strategisch gewählt: Die Taborstraße und A23-Wehlistraße liegen in verkehrsreichen Gebieten, während Schafberg und Lobau verkehrsarme Erholungsgebiete repräsentieren. Die übrigen Stationen verteilen sich über verschiedene Stadtgebiete mit unterschiedlicher Bebauungsdichte.
Während der PM2,5-Wert im öffentlichen Luftgütebericht der Stadt Wien nicht aufscheint, ist er in den Tagesberichten sehr wohl dokumentiert. Sie enthalten detaillierte 24-Stunden-Messwerte aller Luftschadstoffe einschließlich PM2,5.
Die Stadt Wien stellt diese Tagesberichte der letzten sechs Monate zwar auf ihrer Website zur Verfügung, allerdings sind diese Berichte komplex und für Bürger:innen nur schwer verständlich aufbereitet.
Um zu zeigen, wie wichtig es wäre, die PM2,5-Werte im leicht verständlichen, täglichen Luftgütebericht der Stadt Wien zu veröffentlichen, wurden alle Tagesberichte des Monats November 2024 analysiert und ausgewertet. Die folgende Heatmap-Tabelle verdeutlicht die täglichen PM2,5-Messwerte an elf verschiedenen Messstationen im Wiener Stadtgebiet. Die systematische Auswertung dieser Tagesberichte aus dem November zeigt alarmierende Werte, insbesondere in der ersten Monatshälfte.
An sechs aufeinanderfolgenden Tagen wurden durchgehend "schlechte" Luftqualitätswerte mit PM2,5-Konzentrationen von teils über 40 µg/m³ gemessen, was nach dem European Air Quality Index als ‘schlecht’ eingestuft wird (Bereich 25-50 µg/m³). Diese Werte überschreiten deutlich die von der WHO empfohlenen Grenzwerte für die Gesundheit und unterstreichen die Notwendigkeit einer transparenten, tagesaktuellen Kommunikation der PM2,5-Belastung an die Wiener Bevölkerung.
Die Stadt Wien führt die erhöhten Werte auf ein ausgeprägtes Hochdruckgebiet über dem östlichen Mitteleuropa zurück. In einer Stellungnahme weist sie darauf hin, dass die Feinstaubbelastung in diesen Tagen in ganz Nord-Ost-Österreich erhöht war. Selbst die vom Umweltbundesamt betriebene Hintergrundmessstelle Illmitz, die von lokalen Quellen unbeeinflusst ist, erreichte am 09.11.2024 einen hohen PM2,5-Wert von 40 µg/m³.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnt in ihren aktuellen Luftgüteleitlinien eindringlich vor den Risiken von PM2,5 Feinstaubpartikeln in der Luft: Die winzigen Partikel sind in der Lage, bis tief in die Lunge vorzudringen. Dort können sie schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben - von Beschwerden der Atemwege über Beeinträchtigungen des Herz-Kreislauf-Systems bis hin zur Entstehung von Lungenkrebs.
Besonders beunruhigend ist laut WHO, dass selbst bei sehr niedrigen Konzentrationen noch gesundheitliche Schäden nachweisbar sind. Die Gesundheitsbelastung durch Luftverschmutzung hat sich damit zu einer der größten globalen Gesundheitsbedrohungen entwickelt - vergleichbar mit den Risiken durch ungesunde Ernährung oder Rauchen.
Angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse hat sie ihre Grenzwertempfehlung für die jährliche PM2,5-Belastung auf 5 Mikrogramm pro Kubikmeter verschärft. Dieser Wert wird in vielen Städten und Regionen jedoch noch deutlich überschritten.
Eine Auswertung der Tagesberichte der Monate Juli, August, September, Oktober und November 2024 zeigt ein besorgniserregendes Bild:
Die rote Kurve dokumentiert die PM2,5-Belastung im Wiener Stadtgebiet. Nach derzeitiger Gesetzeslage auf Basis vom Immissionsschutz-Gesetz Luft (IG-L), existiert ausschließlich ein Grenzwert für den Jahresmittelwert von 25 µg/m³. Die WHO empfiehlt seit 2021 jedoch einen deutlich strengeren Jahresmittelwert von nur 5 µg/m³.
Für Tagesmittelwerte gibt es aktuell keine gesetzlichen Grenzwerte - lediglich eine WHO-Richtwertempfehlung von 15 µg/m³, die nur 3-4 Mal im Jahr überschritten werden sollte. Ab 2030 soll das Gesetz aber nachgebessert werden: Die EU hat sich auf einen Jahresmittelwert von 10 µg/m³ und erstmals auch einen Tagesmittelwert von 25 µg/m³ (mit maximal 18 erlaubten Überschreitungen pro Jahr) geeinigt.
Ein Blick nach München offenbart einen interessanten Kontrast, wenn es um die Transparenz und Kommunikation der PM2,5 Belastung geht.
Zwar findet sich auf der Homepage der Stadt München kein Luftgütebericht, wie ihn die Stadt Wien veröffentlicht. Allerdings findet man auf der Website des bayerischen Landesamtes für Umwelt die PM2,5-Messwerte tagesaktuell und übersichtlich. Zusätzlich stellt das bayerische Landesamtes für Umwelt auch ein umfangreiches Datenarchiv zur Verfügung. Dort sind sämtliche Luftschadstoffmessdaten seit 1980 in stündlicher Auflösung frei zugänglich.
Um die PM2,5 Messwerte von Wien und München zu vergleichen, wurden die Messwerte der Monate Juli, August, September, Oktober und November 2024 aus dem Messarchiv des bayerischen Landesamtes für Umwelt analysiert und der tägliche Mittelwert der PM2,5 Messwerte errechnet.
In der folgenden Grafik werden die Tagesmittelwerte der PM2,5 Messungen von Wien und München miteinander verglichen.
Die Messdaten zeigen eine deutlich erhöhte PM2,5-Belastung in beiden Städten während der kalten, heizintensiven Monate Oktober und November. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in der Kommunikation und Transparenz der Daten:
Während man auf der Website der Stadt Wien den täglichen Luftgütebericht einsehen kann, gibt es keine übersichtliche und einfach verständliche Möglichkeit, die PM2,5 Tageswerte einzusehen. Selbst auf der Website des Umweltbundesamtes Österreich wird kein tagesaktueller PM2,5 Wert angezeigt, obwohl allein in Wien 13 Messstellen die PM2,5 Belastung messen.
Die systematische Auswertung der Tagesberichte der letzten fünf Monate offenbart zwei Probleme in Wien: Die PM2,5-Feinstaubwerte liegen über den WHO-Richtlinien, und die Stadt veröffentlicht die Messdaten ihrer 13 Stationen nicht in zugänglicher Form.
In einer Stellungnahme zeigt sich die Stadt Wien zuversichtlich: "Die ab 2030 geltenden, neuen Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit für PM2,5 werden in Wien eingehalten werden."
Ab 2030 darf der Tagesmittelwert von 25 µg/m³ nicht öfter als 18 Mal pro Jahr überschritten werden. Die WHO empfiehlt bereits heute einen deutlich strengeren Richtwert von maximal 15 µg/m³ mit maximal 3-4 Überschreitungen pro Kalenderjahr.
Allein in den letzten fünf Monaten wurde der künftige EU-Grenzwert bereits zehn Mal und die WHO-Richtlinie sogar an 28 Tagen überschritten.
Besonders Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder chronischen Erkrankungen müssen ihren Alltag an die Gegebenheiten außerhalb ihrer Wohnung anpassen. Für sie ist jede einzelne Überschreitung der Grenzwerte relevant, da sie ihre täglichen Aktivitäten entsprechend planen müssen. Eine öffentlich zugängliche und leicht verständliche Übersicht der PM2,5 Feinstaubwerte, wie sie das bayerische Landesamtes für Umwelt bereits anbietet, wäre ein wichtiger Schritt für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung.
Auf Nachfrage bei der Stadt Wien, warum die täglich erfassten PM2,5-Werte nicht ebenfalls einfach verständlich auf der Website veröffentlicht werden, verweist die Stadt in einer Stellungnahme darauf, dass die Messdaten zur Luftqualität über die Website data.gv.at frei zur Verfügung gestellt werden.
Dies ermöglicht es technisch versierten Privatpersonen oder Vereinen, die Daten aufzubereiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Initiative guteluft.info des Vereins Initiative Gute Luft (kurz: IGL) ist ein Beispiel für solch ein bürgerschaftliches Engagement. Allerdings ist die Abhängigkeit von privaten Initiativen problematisch: Wartungsarbeiten, technische Änderungen und die kontinuierliche Verfügbarkeit der Daten können nicht garantiert werden.
Eine direkte und einfach verständliche Integration der PM2,5-Werte auf der städtischen Website könnte hingegen einen zuverlässigen, barrierefreien Zugang zu diesen gesundheitsrelevanten Informationen sicherstellen.
[Update 23.12.2024: Der Artikel wurde um eine Stellungnahme der Stadt Wien ergänzt.]