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FHWien

Dieses Projekt entstand im Rahmen einer Lehrveranstaltung im Studienbereich Journalism & Media Management der FHWien der WKW in Zusammenarbeit von Lara Schimpf und Aylin Yilmaz.

Medien
  • Aylin Yilmaz
  •  | Aylin Yilmaz, Lara Schimpf
  •  | Lara Schimpf
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  •  | Lena Pöchtrager







SEXARBEIT –

„Der schönste Job der Welt“?



Jung, schön, gebildet. Was bewegt eine Studentin dazu, Nobelescort zu werden? Warum verdient eine ehemalige Buchhalterin lieber mit Sex ihr Geld? Mit ihren privilegierten Positionen unterscheiden sie sich von der Mehrheit der Sexarbeiter*innen in Wien. Eine Reportage über Unabhängigkeit und Risiko.



von Lara Schimpf und Aylin Yilmaz



















Wege in den Escort – Anna und Astrid erzählen





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„Vielleicht werden manche Menschen einfach als Hure geboren“, sagt Anna (Name geändert). Die junge Frau führt ein Doppelleben, von dem bestimmt so mancher Streamingdienst für die nächste Serie inspiriert wäre. Nach außen hin Studentin, hinter verschlossenen Türen Nobelescort. Doch zu ihrem Beruf gehört oft mehr als nur Sex. Sie macht sich schick, begleitet Männer in teure Restaurants,…

Anonym möchte sie bleiben, um Diskretion gegenüber ihren Freiern zu wahren und um eventuell später vorurteilsfrei andere Jobs machen zu können.









Einen etwas anderen Zugang zum Beruf hat Astrid:

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Knapp am Burnout vorbei und stattdessen „etwas halbwegs Sinnvolles“ machen. Astrid (44) hat das Büro hinter sich gelassen und ist im Jahr 2020 Sexualbegleiterin geworden. So hilft sie beispielsweise Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen ihre Sexualität zu entdecken oder auszuleben. Dass sie auch Escort macht, habe sich dann durch diverse weitere Anfragen so ergeben.

Beide Frauen können sich vorstellen, ihren Beruf bis zur Pension auszuüben.





Anna und Astrid leben ihren Traum, sagen sie. Als akademische, österreichische Frauen sind sie eine Ausnahme in der Sexworker*innenszene. Für viele andere ist Sexarbeit Mittel zum Zweck. Die Familien in den Herkunftsländern ernähren zum Beispiel.



Über 90% der Sexarbeiter*innen in Wien haben einen Migrationshintergrund.

- laut Carina Safonova-Lupescu, Sozialarbeiterin (Sophie)



2011 wurde der Straßenstrich aus Wiens Zentrum verdrängt. Heute erschwert die Coronapandemie den Beruf. Internetplattformen wie booksusi.com bieten eine Alternative – auch um unregistriert Sexarbeit anzubieten. Offizielle Stellen müssen mit diesen neuen Herausforderungen lernen umzugehen. Digitalisierung macht auch vor einem der ältesten Gewerbe der Welt nicht halt.







Bordell, Laufhaus, Studio, Sauna

Rund 350 solcher Etablissements gibt es in Wien. Dort, am Straßenstrich und als Escort wird Sexarbeit angeboten. Um legal zu arbeiten, müssen sich die Personen bei der Polizei registrieren und alle sechs Wochen eine gesundheitliche Untersuchung durchführen lassen.

Am Arbeitsplatz sehen oft Streetworker*innen nach dem Rechten. So auch Thomas Fröhlich und sein Team der Abteilung für Sexuelle Gesundheit und Sexarbeit in der Magistratsabteilung 15 (MA15).





Thomas Fröhlich sei froh, dass während der Pandemie rund 60 Lokale geschlossen haben. Es seien „grindige“ Zustände gewesen. Bei ihren Besuchen schauen die Streetworkteams, ob es den Sexarbeiter*innen gut geht und ob alles Nötige vorhanden ist. Fröhlich erzählt, dass das leider nicht immer der Fall ist:



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Ca. 3.800 Sexarbeiter*innen sind in Wien offiziell registriert. Die Dunkelziffer unterscheidet sich. Die Polizei meint es seien ca. 800, in der Beratungsstelle gehen wir von 200 aus, die nicht registriert sind.

- laut Thomas Fröhlich, Sozialarbeiter (MA15)

Sophie ist eine Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen in Wien. Sie begleiten Frauen bei der Registrierung und bei anderen Anliegen wie Jobwechsel oder gesundheitlichen Themen. Sozialarbeiterin Carina Safonova-Lupescu findet die Situation auf Wiens Straßenstrich alles andere als ideal.

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In Österreich ist Straßenprostitution nur in Wien erlaubt. Vor 2011 theoretisch überall, es musste lediglich Abstand zu Schulen, Kindergärten, Kirchen und Friedhöfen gehalten werden. Beliebte Gegenden waren im 15. und 2. Wiener Gemeindebezirk.

Heute kann nur mehr in zwei Gegenden legal gearbeitet werden. Diese befinden sich an den Stadträndern an der Grenze zu Niederösterreich.



Ich bin damit einverstanden, dass mir Diagramme von Datawrapper angezeigt werden.















„Hurenzählen“ habe Astrid als Kind gerne gemacht. Auf der Heimfahrt vom Urlaub am Wiener Gürtel entlang zum Beispiel. Es sei dem jungen Alter entsprechend unreflektiert gewesen. Gestört haben sie die Frauen aber nicht, im Gegenteil: die bunten Kleider übten eine gewisse Faszination auf sie aus.

Von der Verdrängung des Straßenstrichs in die Randbezirke hält die Sexualbegleiterin nichts:



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Sex ist nur einen Klick entfernt



Wer beispielsweise unzufrieden mit der Situation auf Wiens Straßen ist und nicht (mehr) auf klassischem Wege Sexarbeit anbieten möchte, kann über Internetplattformen wie booksusi.com verschiedenste Dienste anbieten.



Anna und Astrid arbeiten beide unabhängig von Zuhälter*innen oder ähnlichem. Sie können über ihre Websites und in Annas Fall auch über BookSusi erreicht werden. Dabei entscheiden sie selbst, welche Anfragen sie annehmen möchten und welche nicht.



Im Durchschnitt hat BookSusi täglich über 55.000 Besucher.

- laut booksusi.com



Plattformen, die eine Mischung aus Facebook und Willhaben anmuten, haben eine große Reichweite. Dort zu inserieren, kann viele Clicks und schnellen Erfolg liefern. Die Internetpräsenz geht aber auch mit negativen Aspekten einher.





Schattenseiten der Digitalisierung



Tipps für heimliche Videoaufnahmen beim Sex, schamlose Bewertungen der Dienstleistung und des Körpers – in sogenannten Freierforen wird sich unter dem Deckmantel der Anonymität wenig zurückgehalten.



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Achtung. Es folgen nun Ausschnitte aus dem Forum von BookSusi, in dem objektivierend und mitunter menschenverachtend über Sexarbeiter*innen geschrieben wird.



Personen, die hauptsächlich digital ihre Dienste anbieten, sind allerdings für Sozialarbeiter*innen kaum kontaktierbar. Ob sie die Gesundheitsuntersuchungen machen oder ihre Arbeit versteuern, ist nicht nachvollziehbar. Es braucht neue Strategien, um im Internet Aufklärung zu betreiben.

Sophie will an solchen arbeiten.



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Schnelles Geld



Was Sexarbeiter*innen für ihre Dienste verlangen, ist nicht einheitlich. 100 Euro für eine Stunde Vergnügen befinden sich eher im unteren Preissegment. Nach oben hin sind die Grenzen recht offen. Ein Kollektivvertrag oder ähnliches existiert nicht. Zusätzlich müssen viele Geld an Bordellbesitzer*innen und Zuhälter*innen abtreten.



Doch auch das eigene Profil auf Onlineplattformen zu veröffentlichen kostet. 99 Euro pro Monat zahlen Sexarbeiter*innen beispielsweise auf BookSusi. Wer weiter oben gerankt werden will, zahlt zusätzlich.



















Als Nobelescort verdient Anna ca. 3.000 bis 5.000 Euro pro Woche. Ihre Kunden: hauptsächlich sehr reiche Businessmänner in ihren Dreißigern. Die Studentin erzählt von den oberflächlichen Seiten des Geschäfts und warum sie deutlich mehr verdiene als viele ihrer Kolleg*innen.



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Wer legal Geld verdient, braucht in den meisten Fällen auch ein Bankkonto. Doch auch die Erstellung eines solchen kann mit Hindernissen verbunden sein.

Wenn sich Astrid als Sexualbegleiterin vorstellt, habe sie meistens weniger Probleme, akzeptiert zu werden. Bei ihren migrantischen Kolleg*innen sehe das anders aus, so Astrid. Sie erzählt von ihren Erfahrungen bei der Bank.



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Berufsrisiken



Jack Unterweger, der Frauenmörder, und andere Horrorvorstellungen kommen schnell in den Sinn, wenn es um Gefahren für Sexarbeiter*innen geht. In der Realität bereiten eher gesundheitliche Themen, wie sexuell übertragbare Krankheiten, und gesellschaftliches Stigma, Kopfzerbrechen. Bei ersterem wird die Arbeitserlaubnis eingezogen, bei letzterem die Familie angelogen.



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„Ficken?“

Handgreiflichkeiten mussten Anna und Astrid im Zuge ihrer Arbeit bisher nicht erfahren. Angst hätten sie keine, so die beiden. Sie seien bei der Auswahl ihrer Kunden bereits im Vorhinein sehr selektiv. Wer um 3 Uhr nachts „Ficken?“ schreibt, bekomme keine Antwort. Anna lehne 95% der Anfragen ab – respektloses Verhalten werde nicht geduldet. Astrid treffe niemanden, mit dem sie nicht vorher im Videocall gesprochen hat.





Nicht nur in digitaler Form mangelt es teils an Respekt, auch im realen Leben fehlt oft Verständnis für die Situation von Sexarbeiter*innen.

Wegen des gesellschaftlichen Stigmas wollen viele von ihnen anonym bleiben. Einige Sexarbeiter*innen gruppieren sich jedoch, um öffentlich für ihre Rechte und gegen Diskriminierung zu kämpfen.

Ihr Symbol ist der Rote Regenschirm.

Bei einer Kunstinstallation der Biennale 2001 marschierten Sexarbeiter*innen erstmals mit roten Schirmen durch die Straßen Venedigs. Seitdem stehen unter dessen sinnbildlichen Schutz Sexarbeiter*innen weltweit.

Bessere Arbeitsbedingungen, Entkriminalisierung und gesellschaftliche Akzeptanz sind beispielsweise Punkte, die von Aktivist*innen seit Jahren gefordert werden.









Vielleicht wird das eines Tages zur Realität...







...in einer idealen Welt



Für die einen ist es „der schönste Job der Welt“, für die anderen schlichtweg Arbeit zum Überleben. Eines der ältesten Gewerbe der Welt hat nach wie vor Licht- und Schattenseiten – doch was könnte geändert werden, um die Situation für Sexarbeiter*innen konkret zu verbessern?



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