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Unbedingt bedingungslos?
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Unbedingt bedingungslos?

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Der informelle Sektor in Krisenzeiten

Eine multimediale Reportage von Emil Biller, Melissa Erhardt, Emilia Garbsch und Hannah Horsten
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Maria Eugenia ist 35 Jahre alt und lebt und arbeitet als Straßenverkäuferin in Sucre, Bolivien. Ihr Leben hat sich durch die Corona-Krise stark verändert. 
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Maria Eugenia

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Normalerweise arbeitet Mauge jeden Tag. Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen infolge der Corona-Krise dürfen Straßenverkäufer*innen wie sie aber nur noch einmal pro Woche hinaus, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Wann wer verkaufen darf, wird nach der Nummer des Personalausweises geregelt: Am Montag dürfen die hinaus, deren Personalnummer auf 1 oder 2 endet, am Dienstag die, deren Nummer auf 3 oder 4 endet und so weiter. Um 12 Uhr müssen die Verkäufer*innen wieder nach Hause gehen. Halten sie sich nicht daran und werden von der Polizei erwischt, werden sie verhaftet und müssen 1000 Bolivianos (rund 130 Euro) Strafe zahlen.

Die Einkünfte der Verkäufer*innen sind seither stark zurückgegangen. Mauge verkauft an guten Tagen die Hälfte von dem, was sie früher verkauft hat. Für sie ist das lebensbedrohlich - für viele andere auch.
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Sowie Mauge arbeiten laut einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 2018 weltweit 2 Milliarden Menschen, also mehr als 60 Prozent der arbeitenden Weltbevölkerung, im informellen Sektor. Diese Menschen sind in keinem offiziellen Arbeitsverhältnis, sind demnach oft nicht krankenversichert, haben wenig oder keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung und kein fixes Einkommen.

Alvaro Rosales Melgar, bolivianischer Journalist bei der Tageszeitung El Debersieht darin ein großes Problem.

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Alvaro Rosales Melgar

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Staatliche Einschränkungen als Existenzbedrohung

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Mit der Ausbreitung des Corona-Virus SARS-nCoV19 wurden in den meisten Ländern der Welt strikte Ausgangsbeschränkungen verhängt. Der Covid-19 Stringency Index der University of Oxford gibt an, wie strikt die staatlichen Maßnahmen in den verschiedenen Ländern sind.
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Bolivien - Südamerika

In Bolivien arbeiten fast 80 Prozent der erwerbstätigen Menschen im informellen Sektor. Durch die sehr strengen Maßnahmen (Index = 93) wurde vielen Menschen die Lebensgrundlage entzogen.

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Maria Eugenia

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Da momentan die Schulen geschlossen sind, bleiben Mauges Kinder alleine zuhause, wenn sie arbeiten geht. Der Größte, David, muss dann auf seine Brüder aufpassen. Anders ist es nicht möglich, da kein Geld für ein Kindermädchen übrig bleibt. Mauge ruft David, während der Arbeit immer wieder an, um sicherzugehen, dass zuhause alles in Ordnung ist.
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In Bolivien gibt es während der COVID-19 Pandemie für Leute wie Mauge eine staatliche Unterstützungsleistung: Den Bono Universal. Er ist einer von drei Boni der Regierung, die im Zuge der Krise errichtet worden sind. Anspruchsberechtigt sind all jene, die kein fixes Einkommen haben, keine Gelder vom Staat erhalten und auf die anderen Boni keinen Zugriff haben. Einmalig bekommen sie 500 Bolivianos, umgerechnet etwa 60 Euro. Mauge konnte mit den staatlichen Hilfsgeldern zumindest die Miete für ihr Zimmer zahlen.

Für länger als ein Monat reicht das Geld kaum.
Eine langfristige Lösung ist nicht in Sicht.

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Was kann das bedingungslose Grundeinkommen?



Gerade deshalb nimmt während der COVID-19 Krise die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen wieder Fahrt auf. Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) hat im Mai ein Notfalls-Grundeinkommen vorgeschlagen: Für sechs Monate sollen 215 Millionen armutsgefährdete Menschen in der Region Geldtransfers zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse erhalten. In weiterer Folge soll daraus ein bedingungsloses Grundeinkommen entstehen. 

Aber was ist das bedingungslose Grundeinkommen überhaupt? Und könnte es Menschen im  informellen Sektor - wie Mauge - in eine weniger prekäre Lage bringen?
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Das bedingungslose Grundeinkommen ist die Idee eines Einkommens, das allen Menschen vom Staat zur Verfügung gestellt wird.

Dabei gilt:
  • Es ist hoch genug, um existenzsichernd zu sein und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dieser Betrag wird allerdings verschieden interpretiert und liegt bei manchen Modellen unter der Armutsgrenze.

  • Jede*r hat bedingungslos Anspruch darauf, ohne Bedürftigkeitsprüfung, Arbeitsverpflichtung oder anderen Gegenleistungen

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Die Einführung des  bedingungslosen Grundeinkommen wird meist aufgrund der Technologisierung der letzten hundert Jahre argumentiert.

Dank dem dadurch erlangten Wohlstand und der Automatisierung von Arbeit durch Maschinen müsse man neue Zugänge zu Arbeit und Kapital finden.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird als Lösung für eine Zukunft präsentiert, in der klassische Erwerbsarbeit nicht oder kaum noch nötig ist.
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Das Grundeinkommen in der Praxis

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1. Die sozialistische Variante
Das soziale Modell ersetzt andere staatliche Sozialleistungen nicht, sondern will das BGE ergänzend zu ihnen einführen. In der Regel ist der Betrag außerdem höher, als bei anderen Modellen, und wird gekoppelt an andere Forderungen argumentiert.

Die deutsche Linkspartei fordert beispielsweise ein Grundeinkommen in der Höhe von 1080 Euro - zusammen mit einem Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzungen und einer sozialen Steuerreform.  

Das sozialistische Modell wird vordergründig als Instrument für Arbeitnehmer*innenschutz ("Arbeit unter schlechten Arbeitsbedingungen muss nicht mehr angenommen werden.") und Armutsbekämpfung argumentiert.
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2. Das Grundeinkommen als "trojanisches Pferd für den Neoliberalismus"

Das neoliberale Modell sieht im Grundeinkommen eine Chance einen "schlanken Staat" zu etablieren. Sämtliche sonstige Sozialhilfen (Pension, Arbeitslosengeld, Mindestsicherung...) sollen abgeschafft werden. Stattdessen werden -  je nach Variante - bedingungslos 600 oder 200 Euro netto pro Monat und Person ausgezahlt.

Das reduziert die Bürokratie, die bei Staatshilfen mit Bedürftigkeitsprüfungen amfällt. Außerdem soll es die Kaufkraft und die Bereitschaft zu Unternehmensgründung steigern.

Dieses Modell würde allerdings einen starken Abbau des Sozialstaates bedeuten. Der abgegebene Geldbetrag liegt unter der Armutsgrenze. Arbeitslose würden somit in prekären Lebenslagen auf sich alleine gestellt sein. 
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"Mein Grundeinkommen"

Der gemeinnützige Verein "Mein Grundeinkommen" verlost bedingungslos 1000 Euro pro Monat für ein halbes oder ein ganzes Jahr. Bereits über 600 Personen aus Deutschland und dem EU-Ausland haben so für mehrere Monate ein  Grundeinkommen ausprobiert. Finanziert wird das Ganze nur aus Spenden.
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Christina Strohm arbeitet bei "Mein Grundeinkommen" und ist hauptsächlich für den Kontakt mit den Gewinner*innen zuständig.

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Gegründet wurde der Verein 2014 von Michael Bohmeyer (im Hintergrund). Michael hatte zuvor ein Unternehmen mitbegründet und nach seinem Ausstieg weiterhin Geld erhalten. Da wurde die Idee von "Mein Grundeinkommen" geboren. Denn dieses bedingungslose Geld hat bei ihm ein ganz spezielles Gefühl ausgelöst. Mit "Mein Grundeinkommen" will er dieses Gefühl auch anderen Menschen zugänglich machen.

Die Vorstellung, dass Menschen spenden, um anderen Menschen Grundeinkommen zu finanzieren, hielten anfangs viele für absurd. Doch bis jetzt erhält das Projekt stetig Zuspruch und wächst immer weiter. 
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Micha Bohmeyer - Initiator von Mein Grundeinkommen Fotograf: Fabian Melber für Mein Grundeinkommen
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Erich S. ist über Facebook auf "Mein Grundeinkommen" aufmerksam geworden und hat seit März 2019 an jeder Verlosung teilgenommen. Im April 2020 hat es dann endlich geklappt:

"Mit den ersten 1.000 habe ich mir eine neue Brille und ein paar Sportsachen gekauft. Mit dem Rest wurden Schulden abbezahlt. Kurz ist etwas Druck weggenommen worden, mittelfristig geht’s in fünf Monaten wieder rein ums Überleben."

Von der Kritik am Bedingungslosen Grundeinkommen, dass niemand mehr arbeiten gehen würde, hält er nichts:

"Man sucht sich vielleicht die Arbeit, die einem gefällt
und schaut nicht in erster Linie auf das Gehalt, sondern, dass der Rest passt, also die Lebensqualität und die Arbeitsbedingungen usw..."

Die Initiative "Mein Grundeinkommen" findet Erich S. sehr wichtig:

"Danke an das Team von 'Mein Grundeinkommen'. Eine super Sache! Gerade für Menschen, die Probleme im Arbeitsleben haben, ist das Grundeinkommen eine super Erleichterung. Langfristig wäre eine Anpassung der Stundenlöhne und Arbeitszeit angemessen. Der Mensch wirbt immer und immer wieder mit neuesten Technologien. Er ist aber zu dumm, die Arbeitszeit der Menschen zu reduzieren oder Gewinne etwas umzuverteilen, um auch endlich mal etwas vom Leben zu haben. Nein, sogar das Gegenteil ist der Fall, immer und immer mehr werden mit Hungerlöhnen ausgebeutet.

Erich ist der Meinung, dass ein Umdenken angesagt ist:

"Wenn es eine Mindestpension gibt, warum gibt es dann keine Maximalpension?
Ich habe mal eine Dokumentation über ein Dorf gesehen, wo alle Mitbewohner in einen Topf arbeiten und jeder erhält die gleichen Anteile.  Es wäre wohl an der Zeit für eine fairere Verteilung und eine nachhaltigere Arbeitsweise (für Natur und Körper)."









Micha Bohmeyer - Initiator von Mein Grundeinkommen Fotograf: Fabian Melber für Mein Grundeinkommen
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Würde das Grundeinkommen so hoch ausfallen, wie bei "Mein Grundeinkommen", hätte das ein neues Verständnis von Arbeit zur Folge. 

Ehrenamtliche Arbeit und Care-Arbeit würde unterstützt werden, argumentieren die Befürworter*innen eines Grundeinkommens. Zudem könnte Abhängigkeit von Arbeitgebern reduziert werden.

Kritiker*innen befürchten hingegen, dass manche systemrelevanten Arbeiten von niemanden mehr übernommen werden würden.
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Eine Idee für die Zukunft?

In Spanien ist mit der Renta Basica Vital 
Ende Mai 2020 erstmals eine Art Grundeinkommen  verabschiedet worden. Seit 15. Juni kann es von finanzschwachen Haushalten - und unter Einhaltung gewisser Anforderungen - bei der spanischen Sozialversicherung beantragt werden.

Der bolivianische Journalist Alvaro Rosales Melgar steht so einem krisenbedingten Grundeinkommen eher kritisch gegenüber. 


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Alvaro Rosales Melgar

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Sowohl das Grundeinkommen der deutschen Initiative 'Mein Grundeinkommen' als auch das von der CEPAL angedachte Not-Grundeinkommen für Lateinamerika sind befristete Modelle. Sie gelten für maximal ein Jahr und sind daher auch nur bedingt für präzise Vorhersagen eines dauerhaften Grundeinkommens geeignet. Auch die krisenbedingte Einführung der Renta Basica Vital in Spanien, die finanzschwachen Haushalten zur Verfügung gestellt wird, ist wieder an Bedingungen geknüpft (geringe Einkommen) und könnte daher gleich gut von anderen sozialstaatlichen Maßnahmen ersetzt werden. 

Ein Grundeinkommen nach klassischer Definition - dauerhaft und bedingungslos - hat es in noch keinem Staat gegeben. Es würde einen umfassenden systemischen Wandel bedeuten, über dessen Folgen zwar viel diskutiert wird, der aber unvorhersehbar ist. Gerade deshalb ist der Widerstand dagegen groß.

Eine dauerhafte Einführung des Grundeinkommens in Bolivien könnte daher genau die nachhaltige staatliche Unterstützung sein, die sich der Journalist Alvaro wünscht - und die auch Mauge helfen kann. 
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Maria Eugenia

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Emil Biller
Melissa Erhardt
Emilia Garbsch
Hannah Horsten


Entstanden im Rahmen einer Lehrveranstaltung an der FH Wien der WKW 


Special thanks to: 

Maria Eugenia Poveda*
Alvaro Rosales Melgar
Erich S.
Aaron Sterniczky (Generation Grundeinkommen)
Norman Wagner (AK Österreich)
Christina Strohm (Mein Grundeinkommen)
Magdalena Sporkmann (Mein Grundeinkommen)


*Spendenhinweis für Maria Eugenia Poveda:
Während der Umsetzung dieses Projekts hat sich die prekäre Lage von Maria Eugenia Poveda nochmals verschärft. In der aktuellen Krise hat sich gezeigt, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, an dieser Stelle die Möglichkeit einer Spende einzurichten, die direkt an Maria Eugenias Familie geht. 

Unter folgendem Link kann gespendet werden:
Unterstützung für Maria Eugenia


Kontakt für Anmerkungen oder Feedback: 
melissa.erhardt@edu.fh-wien.ac.at

 

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